Schön oder hässlich? Der Hammer fällt, und schon immer hatte das Urteil besonders für Frauen Gewicht. Aber etwas, das nicht so leicht greifbar ist, hat sich verändert. Und das kommt in einem Artikel, den ich kürzlich las, zum Ausdruck und wird fassbarer für mich.
Heidi Klums Show geht mir aus einem ganz bestimmten Grund besonders gegen den Strich. Die Botschaft an die jungen Mädchen lautet hier immerzu „Streng Dich an!“ und „Du musst härter an Dir arbeiten!“ Früher war Schönheit eine Fügung, ein „Geschenk Gottes“. Wer schön war, durfte sich glücklich schätzen. Wer nicht hatte eben weniger Glück gehabt. Gegenwärtig aber wird uns suggeriert, dass all das nur eine Frage der Disziplin und der Leistungsbereitschaft sei. Wer nicht dem gültigen Ideal entspricht, ist faul, träge und selber Schuld. Und das gefällt mir nicht.
Dass Eltern ihren Töchtern Brustvergrößerungen zu Weihnachten oder zum Abitur schenken – der Gedanke befremdet mich. 30% aller Operationen werden heute an Frauen unter 30 vorgenommen, „ein Alter, das früher für sorglose Jungend und natürliche Schönheit stand“.
Diesen jungen Frauen bleibt etwas Kostbares verwehrt. Ich weiß nicht, wie ich es in Worte kleiden soll. Eine natürliche Unbeschwertheit, die jenseits der optischen Selbstoptimierung Raum lässt für mehr persönliche Entfaltung. Wisst Ihr, was ich meine?
„Für eine Umfrage der Frauenzeitschrift Petra wurden im vergangenen Jahr 1000 Frauen gefragt, ob sie 10 Punkte ihres Intelligentzquotienten opfern würden, wenn sie dafür einen Schönheitsmakel ausgleichen könnten. Fast drei Viertel der Frauen antworteten mit Ja.“ (DIE ZEIT, s.u.)
Die mich kennen, wissen, dass ich gegenüber Schönheitsoperationen aufgeschlossen bin und vielen meiner Kundinnen von Herzen gern einen sehr guten und seriösen Plastischen Chirurgen empfehle.
Haben kleine Mädchen früher mit Puppen gespielt, die allesamt aussehen wie Models?
Und die dank der dazugehörigen pinkfarbenen Spielutensilien nichts anderes machen können als am Pool rumzuliegen, sich die Haare zu machen und in den Spiegel zu schauen? Meine Barbie hatte wenigstens einen Wohnwagen und ein Pferd. Und darüber hinaus hatte ich auch noch das Glück, mich wahlweise mit Winnetou oder der Anarchistin Pippi Langstrumpf zu identifizieren.
Weil für so viele nun vieles machbar ist, wächst der Druck auf alle. Früher konnte man die OPs eben auch nicht in Raten bezahlen wie Einbauküchen. Gleicht der Gang zum Chirurgen wirklich bald dem Gang zum Friseur? Den Satz höre und lese ich jedenfalls immer öfter. Treten Risiken wie gesundheitliche Folgeschäden, teure Kredite und Schmerzen denn immer mehr in den Hintergrund?
Es gibt eine Sendung auf RTL: Extrem schön! Wir können dort zusehen, wie hässliche Entlein zum schönen Schwan umgemodelt werden. Wie sie vor Schmerzen weinen und dann bald darauf in die Kamera berichten, wie glücklich sie seit der Operationen sind. Wie ihr Leben sich verändert habe. Sind Schönheit und Glück etwa dasselbe? Wie nahe liegen sie beieinander?
Ich möchte das alles ja gar nicht verdammen. Aber der Artikel hat mich sehr nachdenklich gestimmt.
http://www.zeit.de/2012/45/DOS-Schoenheitswahn
Es hat eine Weile gedauert, bis ich Deinen Artikel und den ZEIT Artikel gelesen habe. Wie Du weisst, bin ich auch für Schönheits-OP`s – bei Frauen, die ein Problem haben mit Ihrem Körper, das sie in der Partizipation stört. (Schlupflider; Lymphödeme; Narbenkorrekturen; Höckernase) Ganz schlimm finde ich die Umfrage, bei der Frauen lieber auf 10% ihres IQ`s verzichten würden um schöner zu sein.
Was ist eigentlich schön? Schönheit ist individuell, kulturell und ethnisch völlig unterschiedlich. Für Nordeuropa bin ich zu dick – in arabischen Ländern hatte ich früher immer sehr viele Verehrer. Aber das ist nicht das Wesentliche – Frauen sollten sich auf ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten verlassen und nicht primär auf ihre Schönheit. Die unzufriedensten und depressivsten älteren Frauen (> 75 Jahre) die ich in den letzten Jahren in diversen Krankenhäusern mehr oder weniger vorgealtert oder multimorbide erleben musste, waren schlanke (in ihren jüngeren Jahren extrem schlanke), rauchende, sich nur über ihre Klamotten, Männer, Schmuck, Schönheit definierende Frauen. Wenn sie da so elend dürre und abgemagert im Bett liegen, zu schwach alleine auf die Toilette zu gehen, mit ihrem Telefon versuchen ihr Leben draussen zu managen – und wenn man sie therapeutisch anfasst, dann hat man Angst ihnen blaue Flecke zu machen oder die eh schon osteoporotischen Knochen zu brechen – NEIN, dann bin ich lieber nicht schlank und schön. Wobei es bei mir auch eine „Fettgrenze“ gibt…. Sich gesund zu ernähren, Spaß haben, alleine und mit Freunden….. Sich bewegen… Aber ohne diese Schuldzuschieberei…..(Du strengst Dich nicht genug an, wenn Du nicht schlank etc. bist….)
Ich jedenfalls habe BRIGITTE am 26. Oktober gekündigt. Lese dafür lieber die ZEIT (Probeabo)
Mal sehen, wann die nächste Zeitung von Gruner und Jahr pleite geht….
In diesem Sinne, ein wichtiges Thema auf Deinem Blog.
Gefällt mir.
Liebe Grüße
Agathe.
Liebe Simone, den ganzen Artikel habe ich doch nicht geschafft, aber der Tenor ist ja völlig klar. Die Dauerbotschaft, dass alle schön, schlank, perfekt sein müssen, ist natürlich ein enormer Druck, der auf uns Frauen und ganz besonders auch auf jungen Mädchen – aber auch Jungs – lastet. Frage: War es jemals anders? Außer zur Rubenszeit vielleicht. 😉
Immer wurde der makellose Körper, das faltenfreie Gesicht, die nach außen hin demonstrierte, vor Gesundheit und Jugend strotzende Gestalt propagiert, besungen, bedichtet und verherrlicht. Viel hat sich nicht geändert, würde ich jetzt mal ganz provokativ in den Raum stellen.
Landen junge Mädchen in der Magersucht, ist es manchmal auch ein Versäumnis der Eltern, den jungen Menschen genug zu stärken und zu helfen, ausreichend Selbstbewusstein aufzubauen. Nur so ist es möglich, ein adäquates Körperbild zu entwickeln und sich so zu akzeptieren, wie man halt mal auf die Welt gekommen ist. Das magersüchtige Mädchen ist wahrscheinlich psychisch krank und die Krankheit sucht sich ein Ventil. Wäre es nicht die Magersucht, dann halt eine andere psychische Erkrankung. Ausgelöst wurde sie m.E. nicht durch Heidi Klum, oder wer auch immer sonst grad junge Mädels quält und vorführt, sondern diese Krankheit, die in ihr ist.
Und da bin ich schon beim zweiten Thema: Was soll man an sich machen lassen, was macht Sinn, was kann glücklich machen und was führt zur Sucht? Hat jemand eine viel zu große Nase, die das Gesicht zu hart wirken lässt, ist doch nichts gegen eine kleine Korrektur einzuwenden. Die junge Frau mit kaum sichtbarer Brust wird sich weiblicher und wohler fühlen mit einem zum übrigen Körper passenden Brustaufbau. Die Frau allerdings, die sich zur lebenden Barbie „umbauen“ lässt, ist in der Sucht und bräuchte therapeutische Unterstützung.
Psychische Probleme zeigen sich auf jeder Ebene, hier können sie sich natürlich auch bestens auswachsen. Heidi Klums Show gefällt mir nicht, aber da gibt es noch vieles sonst, was mir auch nicht gefällt.
Meine Kinder haben sich zu psychisch gesunden Menschen entwickeln dürfen, die ganz genau wissen, was sie möchten und was nicht. Die sich nicht zu viel von den Medien einreden lassen und immer auf ihr eigenes Bauchgefühl hören und diesem trauen können. Das ist es, was man den Kindern mitgeben kann. Das ist heute so, das war vor 100 Jahren so und das wird wohl auch so bleiben. Mal ganz unabhängig vom Zeitgeist. 🙂
Jede Zeit hat ihre ganz besonderen Herausforderungen und auf der anderen Seite geht es dann auch darum, selbstbewusst zu seinen Entscheidungen zu stehen. Dass ich mich eben nicht operieren lasse, obwohl meine Nase krumm ist, weil ich zu mir selbst stehe und sich für mich persönlich alles stimmig anfühlt. Dass ich ein Kind mit Down-Syndrom austrage, weil ich es nicht einfach nur deshalb töten möchte, weil es von der Gesellschaft nicht geduldet wird – alles muss schön sein, perfekt, gesund und vital. Man wächst an seinen Aufgaben, aber Menschen sind flexibel und werden es auch immer bleiben müssen.
Ansonsten sehe ich es auch so wie Agathe, dass ich lieber keine blauen Flecken bekomme, wenn ich manuelle Therapie erhalte. 😉
Liebe Grüße
Bettina
Liebe Agathe,
ja, die Frage „Was ist schön?“ ist wohl so alt wie die Menschheit.
Dein Fazit, wenn ich Dich richtig verstehe, spricht mir aus der Seele. Lebensfreude und Ausgewogenheit sollten maßgeblich sein für unsere Orientierung.
Ich selbst habe immer wieder erfahren, wie gern man besonders dünnen Menschen eine gewisse Verbissenheit unterstellt und die Lebensfreude abspricht. Übergewicht wird mit Faulheit und mangelnder Disziplin assoziiert, Dünn Sein mit Depression, Sport- oder Magersucht. Immer jedenfalls mit einem Übermaß an Disziplin und einem Mangel an Genussfähigkeit.
Schubladen sind immer parat! 😉
Hast Du BRIGITTE gekündigt, weil die Zeitschrift nun doch wieder ausschließlich mit professionellen Models arbeitet?
Und was mich noch interessieren würde: Die depressiven und unzufriedenen Patientinnen, von denen Du erzählst: Sprichst Du mit ihnen über ihre Vergangenheit? Oder mit deren Angehörigen?
Ich danke Dir von Herzen für Dein Feedback!
Hab einen schönen ersten Advent, liebe Grüße
Simone
Liebe Bettina!
Du hast so recht, das ist wohl eine der Herausforderungen unserer Zeit: Alles muss schön, perfekt, gesund und vital sein.
Die Pränataldiagnostik, die Stammzellenforschung verändern unser Denken grundlegender als Casting Shows und Plastische Chirurgie. Es geht um noch viel mehr als nur die schöne Nase, die straffen Wangen, den flachen Bauch.
Mich beschäftigt im Hinblick auf Schönheit eigentlich gerade die Verschiebung, die sich innerhalb des Bereichs vollzieht, den wir als Normalität gelten lassen.
Mag sein, dass Schönheit immer verherrlicht wurde. Aber ich bin eben auf der Spur nach dem, was sich innerhalb einer sehr kurzen Zeitspanne verändert hat. Die Zahl der Plastischen Operationen hat sich in den letzten fünf Jahren verdoppelt! Nicht erst seit Rubens 😉 Was ist da passiert?
Ich mag den derzeit so angesagten Casting Shows nicht unterstellen, dass sie Sucht oder psychische Krankheiten auslösen. Und ein Urteil darüber, was psychisch krank oder gesund ist, kann und möchte ich mir auch nicht erlauben.
Alle Eltern magersüchtiger Kinder haben mein Mitgefühl. Weil man ihnen gern unterstellt, dass ihre Versäumnisse die Erkrankung ihrer Kinder überhaupt erst ermöglichen. Eine ungeheuer belastende, affektive These, die nach meinem Wissen nicht belegt ist. Oder etwa doch?
Man wächst mit seinen Aufgaben, aber bleiben wir wirklich flexibel? Tolerant? Oder empfinden wir inzwischen einen „normalen“ Körper schon als Makel?
Optimismus ist gut. Genau hinzusehen hat aber noch nie geschadet. 🙂
Kriegen Dünne eigentlich wirklich schneller blaue Flecken?
Hab lieben Dank für Deinen gründlichen, lebensbejahenden und wie immer sehr bedenkenswerten Kommentar. Du bereicherst mein Blog sehr!
Liebe Grüße nach München
Simone
Danke, liebe Simone.
Im Grunde sind wir „denkende“ Menschen (klingt das jetzt überheblich?) sowieso einer Meinung. Wir beleuchten halt die Themen von allen Seiten her. Auch das verstehe ich unter Flexibilität. 😉
Du schreibst, dass Du auf der Spur danach bist, was sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne verändert hat. Wenn wir mal überlegen, was sich alles verändert hat für die Menschen, die so um 1960 herum geboren sind (dazu zähle ich), dann muss man einfach sagen, dass wir wahre Pioniere sind. Ich startete in der Grundschule mit Schiefertafel und Kreide, telefonierte als Kind noch mit Telefon mit Wählscheibe, erlebte den Einzug der Fernseher in die Wohnzimmer mit, beobachtete Neil Armstrongs erste Schritte auf dem Mond, erfuhr fasziniert von der ersten Herztransplantation, weiß noch, was ein Bleistift mit einer Tonbandkassette zu tun hat, freute mich ungemein über den ersten Computer, dessen ISDN-Kabel vom Büro im Treppenhaus entlang bis in den Keller führte, erhielt vor fast 20 Jahren überglücklich mein erstes riesiges Klapp-Handy mit langer Antenne und freue mich weiterhin über jede Neuerung, auch auf dem Technik-Markt.
Damit will ich sagen, dass für uns Menschen in den letzten Jahren/Jahrzehnten die Entwicklungen im Zeitraffer vor sich gingen. Wir müssen flexibel sein, ob wir wollen, oder nicht. 😉
Ist es nicht fast eine logische Konsequenz, dass man sich nun auch nicht mehr zufrieden gibt mit seinem natürlichen Körper? Auch hier will man ausreizen was möglich ist. Darin sehe ich natürlich auch die Gefahren, daher sind Diskussionen über das Für und Wider enorm wichtig.
Ich melde mich ein anderes Mal wieder, vielleicht entsteht ja noch eine lebhaftere Diskussion zu diesem wichtigen Thema.
Nun wünsche ich aber allen einen wunderschönen 1. Advent und wieder ein wenig altmodische Besinnlichkeit in unserer schnelllebigen Welt. 🙂
Liebe Grüße nach Köln aus dem eisigen München,
Bettina
Liebe Bettina!
Also niemals klingt bei Dir irgendetwas überheblich! 🙂
Bei allem Fortschritt, den Du hier so spannend schilderst, betrifft aber doch nichts davon diese beunruhigende Entwicklung, dass Schönheitsfehler bei uns Frauen – wir sind in erster Linie betroffen – zusehends mit einem charakterlichen Defizit in Verbindung gebracht werden und darum immer schwerer auszuhalten sind.
Vielleicht ist das der Preis der Fortschritts, der Multimediawerbung, die mit ihm einhergeht und auch der globalen Vereinheitlichung der Schönheitsideale. Und vielleicht erwächst als Antwort, als Reaktion auf diese Entwicklung dann irgendwann wieder ein anderes Selbstwertgefühl, dass diesem Druck stadtzuhalten vermag. Wer weiß? Das wäre eine Form der Flexibilität, die mir gefallen würde.
Und nun wünsche ich Dir noch einen wunderschönen 2. Adventsabend. Die Woche ist gerast! Leider.
Und Grüße aus dem heute nicht nur eisigen, sondern auch verschneiten Köln. Köln freut sich auf Dich!
Simone